Manitoba und Saskatchewan
Die beiden Provinzen liegen in Kanadas Mitte. Über tausende Kilometer zieht sich das flache Land hin. Dünn besiedelt nur. Langweilig soll es sein.Wir erleben Kanadas Kornkammer anders!
Ganz nah - Im Riding Mountain NP schaffen wir es endlich wieder einmal früh aufzustehen (haben wir erwähnt, dass wir immer sooo müde sind und schlafen wie die Murmeltiere?). Ohne Frühstück fahren wir los und brettern über die Piste durch den Wald. Ein eindrückliches Schauspiel beginnt. Die Hauptakteure sind eine Herde Bisons. Die Kulisse ein morgennebelverhangener Wald. Mit dem Auto fahren wir durch das riesige Freigehege. Die Tiere scheinen noch geschlafen zu haben und erheben sich nur langsam. Doch die Neugier siegt, sie kommen näher und umkreisen unsere Zora. WAU! Minutenlang schauen wir ihnen in die Augen, hören ihren Atem, folgen den trägen Bewegungen. Ganz alleine dürfen wir diesem Zauber beiwohnen. Vergessen gar die Blutsauger, welche sich in Heerscharen von den Tieren weg, direkt auf uns stürzen.
Wie traurig, dass die einst in so grosser Zahl vorkommender Bisons nur noch in Halbfreiheit oder mit viel Glück beobachtet werden können. Dem weissen Mann sei Dank.
Nach einem chinesisch-kanadischen Frühstück in einem gottverlassenen, staubigen Kaff geht’s weiter. Richtung Saskatchewan («Sasketschwan»).
Räuberpistole - Auch bei unserem nächsten Stopp schwelgen wir etwas in der Vergangenheit. In Moose Jaw, auch Little Chicago genannt, ging in den 1920-er Jahren nämlich so richtig die Post ab! Der berühmt-berüchtigte Al Capone liess von hier seinen bevorzugten Whiskey in Viehwaggons nach Chicago schmuggeln. Die Strecke durch die Prärie nach Chicago war näher, als die gängige Route dem Lake Superior und dem Lake Huron entlang. So entstanden in Moose Jaw unterirdische Tunnels, in denen der Whiskey schwarz gebrannt wurde und die Stadt florierte. Breite Boulevards wurden angelegt, eine imposante Bahnhofshalle erstellt und Theater sorgten für Unterhaltung. Die Geschichte ist zum Greifen nah, wir sind fasziniert.
Was würden die damaligen Bewohner wohl denken, wenn sie das heutige Moose Jaw sehen würden? Heutzutage ist es eine weitere gesichtslose Kleinstadt, deren Glanz und Abenteuergeist von einst längst verschwunden sind.
Ein gelbes Meer - Rapsfelder soweit das Auge reicht. Ab und zu ein Kornfeld oder ein Flachsfeld, in hübschem Violett. Dazwischen zerstreute, staubige Häuseransammlungen, deren einzige Aufregung die Durchfahrt der Züge ist. Lautstark künden sie sich an, kilometerlang sind sie, schwer beladen mit Containern. 3-stöckig teilweise, gezogen von mindestens drei Lokomotiven. Bauernhöfe mit grossen Getreidesilos und noch grösseren Maschinen, Kuhherden. Viele Dörfer haben deutsche Namen, Blumenhof, Schoenwiese oder Rhineland etwa. Strange!
Die Weite und die Farben sind eine Wohltat für die Augen. Das Blau des Himmels wird dem Slogan von Saskatchewan ganz gerecht: «Land of Living Skies».
Vom Glück Gast zu sein - Abseits des Highways suchen wir nach einem Schlafplatz und ein glücklicher Zufall folgt auf den nächsten! Wir finden einen Kiesplatz und beginnen zu kochen. Da schaut Doug vorbei. Ein Cowboy alter Schule. Wir schwatzen und wissen bald über sein halbes Leben Bescheid. Als er sich verabschiedet, haben wir für den nächsten Tag eine Verabredung. Es kommt gar noch besser. Minutenspäter kehrt er zurück und meint, sein Sohn Lyle würde sich freuen, wenn wir seine Gäste wären!
So sitzen wir kurz später biertrinkend im klimatisierten Wohnzimmer von Lyle, Jackie und Mackenzie! Und dies obwohl sie uns noch nicht einmal persönlich kennengelernt oder gesehen haben. Wir finden ihre Gastfreundschaft unglaublich grosszügig und offenherzig. Sie finden dies nicht weiter der Rede wert und scheinen sich über unser Dasein zu freuen. Vielleicht bringen wir ein bisschen Welt in ihre Stube?
Die fünfjährige Mackenzie muss bald ins Bett. Aber für uns soll es ein interessanter, gemütlicher und später Abend werden. Gekrönt von einer Dusche und dem Fall ins Gäste-Kingsize-Bett. Wir sind im Himmel!
Bei den Smith’s - Am nächsten Morgen erwartet uns ein gedeckter Frühstückstisch. Wir dürfen uns Kaffee, Toast und selbstgemachte Confi schmecken lassen. Mmmhhh! Auch Doug und seine Frau Maxine sind eingetroffen und zusammen fahren wir mit ihrem Pick-up los.
Über ihre gigantisch grossen Felder zu den Rinderherden. Die Smith’s, drei Familien, zwei Generationen, leben vom Verkauf von Rindern. Ein Familienbetrieb.
Noch mehr Überraschungen - «White Tale Deer’s» suchen das Weite, neugeborene Kälber erhaschen unsere Aufmerksamkeit und wir löchern die Experten mit Fragen. Wir erfahren, weshalb die Tiere «gebrandet» sind (der einzige Weg, für sie, sicher zu sein, dass keines gestohlen wird. Was anscheinend sonst manchmal passiert), wie teuer sie ein Tier verkaufen können (sehr unterschiedlich! Als BSE aktuell war für 60$, letztes Jahr für 1200 $) und weshalb die sogenannten «Coulees» so wichtig sind (Täler, die den Rindern im Sommer Schatten und im Winter Windschutz bieten. Ausserdem finden sich dort meist Wasserstellen.) Als wir erzählen, dass die Kühe in der Schweiz den Winter in Ställen verbringen, kann Lyle dies kaum glauben. So leben seine Tiere doch beinahe «wild». Mehrere Stiere leben mit den Kühen auf den Feldern. Jeden Frühling kämpfen sie um die Rangordnung, danach leben sie friedlich zusammen. Die Kälber kommen draussen alleine zu Welt. Nur der Instinkt der Mutter sichert ihr Überleben.
Im Garten von Maxine dürfen wir Saskatoon-Berries kosten und werden ein weiteres Mal überrascht. Doug schlägt vor, seinen Freund George zu besuchen. Dieser lebt in einer Hutterer-Gemeinschaft in der Nähe. Neugierig stimmen wir zu und sind wenig später mit Vollgas unterwegs. Um Punkt 11.30 müssen wir dort sein. Wir sind zum Mittagessen eingeladen.
Bei den Hutterer - Natürlich sind wir völlig unvorbereitet - wissen gar nicht so recht, was von uns erwartet wird oder wie wir uns verhalten müssen. Wir schauen einfach mal.
Das Gelände ist riesig. Ein Dutzend Gebäude finden sich, Silos, eigene Lastwagen. Adrette Reihenhäuschen dienen als Wohnhäuser. In einem davon lernen wir George kennen. Schnell ein paar Worte, auch auf Deutsch und weiter geht’s. In den blitzblanken Esssaal. Andy geht mit in den Männerteil, Maxine und ich werden im Frauenteil platziert. Andy fällt bei den Männern auf - alle tragen schwarze Hosen, Hosenträger, helle Hemden und Hüte. Ich falle bei den Frauen auf - alle tragen bodenlange Röcke, hochgeschlossene helle Blusen und dunkle Hauben.
Eilige Helferinnen verteilen das Essen auf die langen, gedeckten Tische. Um Punkt 11.30 wird ein Gebet in Althochdeutsch gesprochen. Danach bedient sich jeder eiligst. Fleisch, gartenfrisches Gemüse, Salat und eine Art Omelette stehen zur Auswahl. Alles schmeckt, doch leider bleibt wenig Zeit.
Ich versuche mich mit den Frauen zu unterhalten. Auf Deutsch, was sie sehr freut. Manchmal verstehe ich sie, manchmal nicht. Durch die Geschichte der Hutterer scheint sich ihre Sprache verändert zu haben. Sie gebrauchen «alte» Wörter, welche in unserem Sprachgebrauch nicht mehr vorkommen und auch Englisch hat seine Spuren hinterlassen.
Ein zweites Gebet und Punkt 11.45 stehen alle auf und bringen ihr Geschirr in die Küche. Hier sind die Abwaschbecken bereits gefüllt und es wird eifrig geschrubbt (30 Minuten später ist die Küche wieder blank und die Tische sind fürs Abendessen gedeckt). Auch alle anderen gehen sofort wieder ihrer Arbeit nach.
Einblicke - George, Chefmechaniker, nimmt uns auf einen Rundgang mit. In einer grossen Halle säubern die Frauen kichernd Frühlingszwiebeln. Nebenan werden Birnen eingemacht. Modernste Gerätschaften stehen ihnen zur Verfügung. Kein Staubkorn liegt auf dem Boden. Die Frauen allen Alters arbeiten Hand in Hand.
Wir lernen Jonathan kennen, den Bienenmann. Er führt uns, nicht ohne Stolz, seine selbstkonstruierte Zentrifuge vor. Weiter durch die Vorratskammern, die hochmoderne Melkanlage, durch Tierställe und durch fussballfeldgrosse Gärten. Ein jeder habe eine Arbeit, sei für einen Bereich verantwortlich. Nur Aussuchen könne man nicht wirklich, erklärt uns George. Weiter in die eigene Schule. Hier lernen die Kinder mit sechs Jahren Englisch (zuvor sprechen sie nur Deutsch) und auch Bibeltexte spielen eine wichtige Rolle. Zusammen mit George versuchen wir die Heiligkeiten in althochdeutscher Schrift zu entziffern, was mit der Zeit gelingt. George verheimlicht dabei nicht, dass er nicht allzu viel von der Schule hält. Weiter in die Kirche. Ein schmuckloser Raum. Eine Sitzordnung, nach Geschlechtern getrennt und dem gewählten Ältestenrat ganz vorne. Zu ihnen möchte er nicht gehören, verrät George spitzbübisch, sein Platz sei in der hintersten Reihe ;)
Vom Glück - Nochmals zum Bienenmann. Er erwartet uns mit einem köstlichen Saskatoon-Berry-Pie und zeigt uns sein kleines Reich. Liebevoll spricht er über seine Bienen. Erklärt, wie er die Königinnen vermehrt, was sein Honig besonders mache. Mit viel Witz und Charme. Ja, er scheint glücklich!
Ein paar Gedanken - Ein Leben in Gemeinschaft und Arbeit, nach genauen Regeln und Zeiten. Die persönliche Entfaltung unerreichbar. Die Freiheiten minimal, obwohl uns George versichert, jeder, auch die Frauen, könnten ein und ausgehen wie sie wollen. Nur geheiratet wird einmal im Leben.
Stolz sind alle, denen wir begegnen. Alle zeigen uns gerne, was sie zusammen erreicht haben. Ob sie glücklich sind? Wir wissen es nicht. George und Jonathan jedenfalls, die zwei Schlitzohre, scheinen nicht alles ganz so ernst zu nehmen. Aber vermutlich ist dies erst in einem gewissen Alter, einer gewissen Position möglich.
Ausgesprochen offen und gastfreundlich erleben wir die Hutterer. So erlauben sie uns Einblicke in ihr Leben zu nehmen, beantworten all unsere Fragen. Beschenken uns mit Honig und Brot, laden uns zum Mittagessen ein.
Jonathan, der Bienenmann, lädt uns gar ein zu bleiben, sein Gast zu sein. Spannend wär’s und wir haben den lustigen Mann auch bereits in unser Herz geschlossen. Aber hier mit unserem Auto vorzufahren, ihnen unsere Freiheit vorzuführen?
Durch das Feldweg-Labyrinth zurück. Wir verabschieden uns von den Smith’s. Etwas traurig, aber dankbar für die vielen Erfahrungen der letzten Stunden.
Thank you so much Doug, Maxine, Lyle, Jackie and Mackenzie!
Etwas müde von so viel Neuem fahren wir in die Natur. Der Grassland NP lockt uns ganz in den Süden der Provinz.
Weites Land - Der Nationalpark repräsentiert als einziger Ort in Kanada die ursprüngliche Landschaft in weiten Teilen des Landes: die Prärie. Der Park ist weit abgelegen und deshalb wenig besucht, genau was wir suchen!
Weites Grasland, sanfte Hügel, in allen braun, beige und gelb Schattierungen. Der Himmel ist noch näher und wir sehen in den drei Tagen gewaltige Gewitterwolken, weisse Schäfchenwolken und schönstes Himmelblau. Die Nächte sind dunkel, so dunkel, wie wir es noch nie erlebt haben. Gar offiziell ist hier die dunkelste Nacht der Welt erlebbar. Und dann ist da eine Stille!
Safari - Trotz Hitze gehen wir auf Pirsch. Sehen verschiedene Rehe, Präriehunde und viele Vögel. Eigentlich suchen wir aber noch etwas grössere Tiere. Es lebt auch eine Herde von 350 Bisons im Park. Einzelne Männchen konnten wir mit dem Feldstecher bereits vom Frühstückstisch ausmachen. Aber wo sich wohl die grosse Herde versteckt?
Im letzten Licht des Tages machen wir uns auf die Suche. Durch hohes Gras, darauf achtend nicht auf eine Klapperschlange zu stossen, welche auch heimisch sind hier. DA! Urplötzlich entdecken wir die Bisons, grasend auf einer Anhöhe. Zwar können wir ihnen nicht näher kommen, aber sie in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, ist dennoch erhaben.
Auf dem Rückweg ist uns das Glück nachmals hold. Wir scheuchen eine der scheuen «Burowing Owls» auf.
Überblick - Eine windige Wanderung bildet der Abschluss unserer Zeit in diesem schönen Park. Zwar sehen wir die Bisonherde nicht mehr (es hat einfach zu viele Hügel), dafür geniessen wir den Blick von oben, die Ruhe und die Weite - denn wieder sind wir ganz alleine unterwegs.
Schnell ist die Grenze zur neue Provinz Alberta überquert. Hier finden sich Kanadas meistbesuchte Naturpärke. Und es ist Hauptsaison. Der Kontrast könnte also nicht grösser sein! Ob es uns dennoch gefällt, werden wir euch im nächsten Bericht verraten.
Rene Mehmann
2014-08-21 08:50:44
Hallo Kanadier
Ein spannender Bericht, der Einblick in uns unbekannte Welten erlaubt. Ich habe mich in einem Zug durchgelesen und die umfassende Darstellung und die herrlichen Fotos genossen. Merci vehlmohl für die sorgfältige Berichterstattung. Liebe Grüsse und fröhliches Reisen wünscht Rene Mehmaann/Papi
Marcel Kramer
2014-08-22 21:35:18
he Ihr 2
Was ihr da erlebt ist etwas einmaliges, schönes und es wird unvergesslich sein! Ein bischen beneide ich euch schon, da Kanada immer mein Traum war und es auch bleibt.
Nikita ist jetzt im Waldkindergarten - da gibts viel zum erleben und zu tun. Er ist jetzt ein richtiges Schlitzohr geworden - immer eine Ausrede oder einen Vorschlag es anders, zu seinem Vorteil zu tun -)
Ganz liebe Gruessli Paps und Co
Chrege Knecht
2014-08-27 23:34:57
Danke för die spannende, informative ond amüsante Brecht!
Grüessli vom Coucousindli